Der eiserne Gustav
Wer ihm den Namen gab? - Ich weiß es nicht.Jedenfalls könnte ich mir keine bessere Bezeichnung vorstellen für diesen alten, treuen Diener, den robusten, fast unverwüstlichen Koloß. Welcher Vergleich wäre treffender als der mit dem Berliner Fuhr- und Droschkenunternehmer Gustav Hartmann, dem Berliner "Eisernen Gustav", der Anfang unseres Jahrhunderts gegen das Vordringen der Motorisierung opponierte und der seinem Sohn, der den Pferdebetrieb auf Motorwagen umzustellen begann, die Zuverlässigkeit und Unersetzbarkeit der Pferde zu demonstrieren gedachte und sich am 2. April 1928 mit seiner Einspännerkutsche und seinem Fuchswallach Grasmuss auf die 1000 km weite Reise von Berlin-Wannsee nach Paris begab.
Ja, der "Eiserne Gustav" von Aspisheim: 58 Zentner wog er, erbrachte eine Leistung von 25 PS und übertrumpfte dank seines hohen Gewichtes und der großen Schwungmasse seines Einzylinder-Glühkopfmotors noch Jahre später seine jüngeren Kollegen mit höheren PS-Werten erheblich in der Zugleistung.
Es war ein Lanz-Bulldog, hergestellt in den Lanz-Traktorenwerken in Mannheim.
Es liegt mir am Herzen, mit meiner Erzählung bei den älteren Mitbürgern die Erinnerung an den alten Burschen und an mit ihm in Zusammenhang stehende Begebenheiten zu wecken. Erst vor kurzem habe ich erfahren, daß der "Eiserne Gustav" bei der älteren Generation unserer Dorfbewohner einen gewissen Stellenwert einnahm. Als ich bei einer älteren Frau auf unseren alten Bulldog zu sprechen kam, sagte sie spontan: "Ach der Gustav!"
Die jüngeren Bürger möchte ich mit meiner Erzählung auf Dinge und Tatsachen hinweisen, die zwar mit dem Objekt "Gustav" nicht direkt zu tun haben, auf die ich aber bei der Befasssung mit seiner Geschichte aufmerksam wurde und die ich für wert halte, sie der jüngeren Generation zu vermitteln, um dieser ein Einfühlen in damalige Verhältnisse zu ermöglichen.
Für diese Erzählung stehen mir nicht nur meine eigenen Erlebnisse mit dem "Eisernen Gustav" zur Verfügung, es sind auch Erinnerungen, die ältere Mitbürger an mich weitergegeben haben. Insbesondere diente mir als Grundlage das mir von Frau Gertrud Huff dankenswerterweise überlassene Abrechnungsbuch der Gerätegemeinschaft "Johann Philipp Scholl und Genossen", später "Schleppergemeinschaft Aspisheim" genannt. Es bietet einen Überblick über den Einsatz des "Eisernen Gustav" und übermittelt Hinweise auf Begebenheiten -vor allem während des Krieges-, die ich für aufschlußreich halte.
Nun, wie fand der "Eiserne Gustav" nach Aspisheim?
Im Frühjahr 1939 erklärten sich fünf Bauern in Aspisheim bereit, auf Betreiben des Bauern und Winzers Johann Albert Huff, genannt Hans Huff, vermutlich angeregt durch seinen Schwiegervater Joh. Heinr. Bauer, Dipl. Ing. in Mannheim, eine Gerätegemeinschaft zu gründen, um die langsam sich entwickelnde Mechanisierung der Landwirtschaft auch in ihren Betrieben nutzen zu können. So entstand die Gerätegemeinschaft Aspisheim mit den fünf Genossen: J. A. Huff, Karl Huff (Akziser), Karl Hothum, Joh. Phil. Scholl und Friedrich Weinmann. Diese fünf "Bulldogsbauern ", wie sie im Dorf genannt wurden, beschlossen eine Satzung, an die sich jeder Teilhaber strikt zu halten hatte. Man entschloß sich zur Anschaffung eines 25 PS-starken Lanz-Bulldogs und der erforderlichen schweren Ackergeräte.
Der Bulldog, die erste landwirtschaftliche Zugmaschine in Aspisheim, wurde im April 1939 bei der Bäuerlichen Hauptgenossenschaft in Frankfurt am Main bestellt und im Juni 1939 geliefert, zusammen mit einem Mähbinder -leihweise-, denn die Getreideernte stand bevor, und dabei sollte ja der neue Traktor schon seine Dienste tun. Nun, mit Pferden und Ochsengespannen waren ja die zukünftigen Traktoristen aufgewachsen und vertraut. Aber eine Zugmaschine hört nicht auf "Hü", "Hott" und "Brrr". Sie will bedient werden, und das Bedienen mußten die Männer erst erlernen. Zum Betreiben des Fahrzeuges war natürlich auch der Besitz des Führerscheines Klasse IV Voraussetzung. Wer aber hatte seinerzeit auf dem Lande schon eine Erlaubnis zum Führen eines Motorfahrzeuges? Im Gegensatz zu heute gab es damals in unserem Dörfchen bei ca. 750 Einwohnern nur fünf Autobesitzer und zwei Motorradfahrer. So mußten sich die Beteiligten einer Ausbildung bei der Firma Lanz in Mannheim unterziehen, wo auch die Fahrschule durchgeführt und der Führerschein Klasse IV erworben wurde. Die Kosten hierfür wurden von der Firma Lanz getragen. Kaum waren die Schleppergenossen mit der neuen Maschine vertraut, und der Bulldog hatte seine ersten Leistungsnachweise bei der Getreideernte mit dem zapfwellenangetriebenen Mähbinder erbracht, - die Kritiker, die das Befahren der Äcker mit einem 58 Zentner schweren Koloß als eine nicht zu verantwortende Ertragsschädigung der Felder betrachteten, waren verstummt, brach der 2. Weltkrieg aus. Ich, zwar nicht in Aspisheim aufgewachsen aber damals als 15-jähriger zu Besuch bei meinem Freund Hans Huff, erinnere mich noch gut des Tages, an dem die Mobilmachung ausgerufen wurde. Die Dreschgehilfen hatten sich um sechs Uhr früh zum Maschinendreschen im Akziserhof versammelt. Am Tage zuvor war die Dreschmaschine erstmals mit Hilfe des Bulldogs in den Akziserhof gerückt worden, was früher im "Hau-Ruck"-Verfahren" mit Männerkraft oder mit Hilfe von Pferden geschah. Der Maschinenführer (Ludwig Geyer?) war gerade im Begriff, den Elektromotor der Maschine anzulassen, als mein Vater zum Hoftor hereinkam und mir zurief:" Bub, wir müssen sofort heim, es ist Krieg!" Die Umstehenden waren natürlich durch diese Nachricht erschreckt. Manche von ihnen hatten den ersten Weltkrieg miterlebt, aber als junger Bursche konnte ich die Tragweite dieser Nachricht noch nicht ermessen. Gleich kam die Nachbarin, die "Hessen" herüber, die vis à vis des Akziserhofes in dem niedlichen Häuschen "Adolf-Hitler-Str. 4" wohnte, und bestätigte, daß heute früh der (ich weiß nicht mehr wer) von Bingen gekommen sei und berichtet habe, daß am Binger Bahnhof durch Plakate die Mobilmachung bekanntgemacht worden sei. Zwar waren Tage zuvor schon Wehrpflichtige einberufen worden, aber mit einer Kriegserklärung hatte man nicht ernstlich gerechnet, da die Möglichkeit der Information der Bevölkerung damals noch nicht so ausgeprägt war wie heute. Bei dieser Gelegenheit möchte ich erwähnen, daß erst damals der Besitz eines Radios vom Status des Luxusgegenstandes durch die Herstellung und das preisgünstige Angebot des "Volksempfängers" in den Status des selbstverständlichen, allgemeinen Gebrauchsgutes wechselte. Der kleine Volksempfänger kostete seinerzeit 35,- Reichsmark. Später kam die größere Version auf den Markt für 60,- RM.Es wurden jetzt nicht nur wehrfähige Männer sondern auch Pkw's, Lastwagen, Motorräder und Pferde zum Wehrdienst eingezogen. Der Bulldog war zwar nicht für den militärischen Dienst geeignet, aber die Schleppergenossen wurden mit ihrer Maschine dienstverpflichtet und mußten neben ihrem landwirtschaftlichen Einsatz in den eigenen Betrieben alle im Ort anfallenden Fuhrleistungen übernehmen. Es ist nicht uninteressant zu erfahren, was in den Kriegs- und in den ersten Nachkriegsjahren von der "Schleppergemeinschaft Aspisheim", wie sie sich später bezeichnete, mit ihrem Bulldog alles hin- und hergeschleppt wurde. Zu einem großen Anteil wurde die Bezugs- und Absatzgenossenschaft mit Fuhrdiensten versorgt. Einerseits mußten die Verbrauchsgüter wie Dünger, Saatgut, Kohlen u. a. meist von dem Güterbahnhof Dromersheim hertransportiert werden, andererseits mußten die Erzeugnisse der Landwirtschaft und des Weinbaus zur Bahn und zu anderen Stellen gebracht werden. Aber auch landwirtschaftliche Arbeiten außerhalb ihrer eigenen Betriebe wurden von den Schleppergenossen mit übernommen, vor allen für Betriebe, deren Männer oder deren Gespanne im Krieg waren. Es sind in dem Rechnungsbuch viele Transporte von Stallmist, Dickwurz, Kartoffeln und Heu sowie Feldarbeiten wie Getreideernte mit Mähbinder, Äcker schälen und pflügen sowie Klee mähen verzeichnet. So möchte ich einige Aufgaben hervorheben, die -wie anfangs erwähnt- auf Dinge hinweisen, die längst vergessen sind, deren Kenntnis jedoch sehr hilfreich ist, sich in die damaligen Verhältnisse hineinzudenken. So weist eine Eintragung im Rechnungsbuch vom 19. Juli 1939 über den Kauf von Benzin bei Philipp Baußmann darauf hin, daß dort vor dem Krieg eine Shell-Tankstelle bestand, die bei Kriegsbeginn geschlossen werden mußte. Das Benzin wurde gebraucht zum Anlassen des Bulldogmotors, dessen Zündmechanismus, nämlich der im Zylinderkopf eingebaute "Glühkopf", mit Hilfe einer Benzinlötlampe zum Glühen gebracht werden mußte bevor der Motor mit dem von der Lenksäule abnehmbaren und auf die Kurbelwelle des Motors aufgesteckten Lenkrad angeworfen werden konnte. Das gelang nicht immer beim ersten Versuch. Bisweilen erlaubte sich der Motor, rückwärts zu laufen und der Startvorgang mußte wiederholt werden. Elektrische Anlasser waren derzeit bei solchen Maschinen noch nicht üblich. Das Benzin übrigens kostete damals bei Baußmann 35 Reichspfennige pro Liter, später, nach Schließung der Tankstelle, mußte das Benzin von außerhalb bezogen werden und kostete 40 RPF. Der Dieselkraftstoff kostete pro kg 21,6 RPF. Bis zum Kriegsende konnte trotz Rationierung der Bedarf an Dieselkraftstoff gedeckt werden, in den beiden ersten Nachkriegsjahren aber mußte der Bedarf durch "Kotteln" ergänzt werden. So ist im Jahre 1947 ein Vorgang verzeichnet: "für 400 l Diesel 100 l Wein", "für 40 l Schmieröl 60 l Wein." Schon im ersten Jahr ihres Bestehens hatte sich die Gerätegemeinschaft auf Grund ihrer Dienstverpflichtung geradezu zu einem Speditionsunternehmen entwickelt. Die Schleppergenossen konnten sich glücklich schätzen, daß Hans Huff bereits seit fünf Jahren vor Anschaffung des Bulldogs einen gummibereiften Pferdegespannwagen besaß, den er der Gemeinschaft zur Verfügung stellte. Die Anschaffung eines neuen Anhängers war abhängig von der Genehmigung eines Bezugsscheines für Gummireifen und erfolgte im März 1940. Inzwischen wurden die vorhandenen, eisenbereiften Ackerwagen umgerüstet und die Deichseln gegen Anhängegabeln und Anhängerkupplungen, die die Dorfschmiede Butz und Dern herrichteten, ausgetauscht. So konnte man zwei oder gar drei Ackerwagen aneinanderhängen. Man darf sich aber die Straßen nicht im heutigen Zustand vorstellen, sie hatten damals noch sandgebundene Schotterdecken und waren holprig, mit vielen Schlaglöchern. So konnte es passieren, daß bei zu schnellem Fahren ein Lunden (Radbolzen, Achsnagel) aus der Radkappe sprang und das Rad sich selbständig machte. Die vorhandene Rolle, wie die Plattformwagen noch heute bei uns genannt werden, von Hans Huff hätte -würde sie heute noch existieren- eine gewisse historische Bedeutung. Nicht etwa, weil sie das erste gummibereifte landwirtschaftliche Gespannfuhrwerk in Aspisheim war, sie war der erste gummibereifte Gespannwagen, der 1934 von der Landmaschinenfabrik Sack in Leipzig nach deren eigener Konstruktion gebaut und erstmals auf der DLG-Ausstellung in Frankfurt vorgestellt worden war. Hans Huff hat den Wagen dort gekauft. Nach der Lieferung kam Herr Sack, der Fabrikinhaber, persönlich nach Aspisheim, um den Ackerwagen mit Gespann im Einsatz zu beobachten, sich über die Bewährung seiner Konstruktion zu informieren und das Gefährt für das Archiv seiner Fabrik und zu Werbezwecken zu fotografieren. Dieser Wagen hatte als Lenkvorrichtung nicht, wie sonst üblich, einen Drehkranz, sondern die bei Autos übliche Lenkung mit starrer Vorderachse und Achsschenkeln, die durch die mit der Deichsel gekoppelte Steuerstange gelenkt wurden. An dieser Stelle sei ebenfalls erwähnt, daß auch unser Schmied Hans Butz, seitdem die landwirtschaftlichen Betriebe nach und nach von Gespann auf Traktor umstellten "Rollen" mit exzentrischer Lenkvorrichtung nach seiner eigenen Konstruktion baute. Die besondere Lenkung hatte, ähnlich wie die Autolenkung von Sack, den Zweck, das Kippen des Wagens bei engem Wenden zu verhindern. Der Gustav war zwar ausgestattet mit einer elektrischen Hupe, aber benötigt wurde sie kaum, weil der laut knallende Motorlärm sein Herannahen schon aus weiter Ferne signalisierte, so daß Hasen, Fasane, Feldhühner und Hamster auf den Äckern angstvoll die Flucht ergriffen.
Apropos Hamster: da ich eben die Hamster erwähnt habe, komme ich auf den Gedanken, auch kurz von diesen possierlichen Geschöpfen, die in Aspisheim "Kornwurm" genannt wurden, zu erzählen. Die meisten jungen Leute - sollten auch einige die kleinen Schmusetiere aus der Zoohandlung kennen - haben sicherlich noch keinen Feldhamster in der Natur erlebt. Diese sind viel größer als die "Haustierchen", können mitunter zur großen Plage werden und richten dann immense Schäden, vor allem in den Getreidefeldern, an. In ihren unterirdischen Bauten verstauen sie zentnerweise Getreidekörner für ihren Wintervorrat, und so ist es verständlich, daß vor dem Zweiten Weltkrieg staatlicherseits die Bekämpfung dieser Schädlinge gefördert wurde. Für jedes ausgewachsene, erlegte Tier wurde eine Prämie von 10 und für junge Tiere 5 Pfennige bezahlt. Die Buben machten sich einen Spaß und ein Geschäft daraus, auf den Stoppelfeldern und Kleeäckern die Bauten aufzugraben und die Hamster zu fangen. Der Feldschütz war zuständig für die Annahme und Entsorgung der getöteten Tiere sowie für die Auszahlung der Prämien. Er begrub die Kadaver in einem Erdloch, aber damit die cleveren Buben die Hamsterleichen nicht mehr ausgraben und ein zweites Mal dem Feldschützen andrehen konnten, wie es vorgekommen sein soll, übergoß er die Tiere in ihrer Grube vor dem Zudecken mit einem Eimer voll Jauche. Während des Krieges aber wurde den ausgewachsenen Hamstern das Fell über die Ohren gezogen und als Innenfutter für die wärmenden Jacken der Kampfflieger verwendet. Auch nach dem Kriege noch haben dann Leute sich mit dem Hamsterfang befaßt und die Felle an das Kürschnergewerbe verkauft. Diese längere Bekämpfungsphase ist wohl Ursache des starken Rückganges ihrer Population.
Von geschichtlicher Relevanz mag auch die Erinnerung daran sein, daß seit dem Kriegsjahr 1940 die Aspisheimer Turnhalle als Lager für polnische, später für französische Kriegsgefangene diente. Das bestätigen Vermerke im Rechnungsbuch der Schleppergemeinschaft, z. B. am 20.07.1940: "für einen Abort von Büdesheim zu holen für Gefangene", "Zwei Fahrten für gefangene Franzosen nach Mainz zur Entlausung" (in die Zitadelle).
Die erste verzeichnete Personenbeförderung mit der neuen großen Rolle war am 18.07.1940: "25 Musterungsborsch nach Bingen".
Auch die Aspisheimer Handballmannschaft, damals eine sehr siegreiche, wurde gelegentlich an Sonntagen von dem Eisernen Gustav mit der großen Rolle an die Spielorte gekutschert.
Aber auch die Weinlesehelfer, die damals zum größten Teil aus dem Hunsrück mit der Hunsrückbahn (heute nur noch zum Teil als Museumsattraktion erhalten) in Kloningers Mühle ankamen und früher dort mit Pferdefuhrwerken abgeholt wurden, wurden jetzt mit dem Eisernen Gustav nach Aspisheim und nach der Weinlese wieder mit ihrem Gepäck und ihren mit Trauben gefüllten Spankörben zurück zur Bahn gebracht. Für die Weinleser aus dem Hunsrück oder wo immer sie sonst herkamen, war die Lese nicht nur eine willkommene Verdienstquelle, sie war vielmehr trotz Arbeit ein großes Vergnügen.
Es gab bis zum Kriegsende im Ort außer der Turnhalle noch drei Wirtschaften, in denen sich die Jugendlichen zu Unterhaltung und Tanz trafen. Grundsätzlich war mindestens zwei mal in der Woche ein Bremserball. Bei dieser Gelegenheit hat sich so manche Ehe, auch zwischen Hunsrückern und Aspisheimern, angebahnt.Es ist erstaunlich und nicht alles aufzuzählen, was in den Jahren des Krieges an Frachtgütern von den Genossen mit ihrem "Eisernen Gustav" transportiert wurde und welche Strecken mit ihm zurückgelegt wurden. nach Niederolm oder Oberolm, um Getreide und Dünger zu holen oder Brennholz aus dem Hunsrück und um Wein nach Ebernburg oder in den Rheingau zu transportieren. Die weiteste Fahrt war die nach Frankfurt, um den Mähbinder zu holen.
Ferner wurden für Bauarbeiten Sand, Backsteine und Kalk angefahren, für die Schmiede und Schlosser Eisen, für die Küfer Faßdauben und Faßbandeisen, für Privatleute, Haushalte und Gewerbe wurden Pakete befördert, für Bauern -auch in Nachbargemeinden- Stallmist, Dickwurz und Kartoffeln, für die Bezugs und Absatzgenossenschaft wurden Dünger, Spritzmittel und Getreide geschleppt. Einen großen Anteil der Transportgüter nahmen Kohlen und Briketts für Bäcker und Haushalte ein. Es waren z. B. allein von Oktober 1939 bis Dezember 1940 über 9000 Zentner.
Ein paar Worte zum Weintransport: die damalige Weinproduktion ist mengenmäßig mit der heutigen nicht zu vergleichen. Man kannte auch noch nicht die großen Tanklastwagen wie man sie heute benutzt. Der Wein wurde ausschließlich in Holzfässern transportiert. Meist auf Pferdefuhrwerken zur Bahnstation oder direkt zum Empfänger. Dieser Dienst wurde jetzt während des Krieges teilweise vom "Eisernen Gustav" übernommen.
Die leeren Fässer, die die Kommissionäre oder Weinhändler am Güterbahnhof bereithielten, wurden ins Weindorf und nach dem Füllen beim Winzer wieder zum Bahnhof gebracht.
Nur die Alten wissen noch, daß bis wenige Jahre nach dem Krieg an jeder Bahnstation im Rheinhessischen Weinbaugebiet ein handbetriebener Kran stand, speziell für die Verladung von Weinfässern.
Eine Eintragung über den Transport von Flachs zur Bahn erinnert daran, daß in den Jahren vor dem Krieg in dem Bestreben nach Selbstversorgung unseres Landes der Anbau von Flachs forciert wurde. So war im Krieg jeder Landwirt verpflichtet, einen gewissen Anteil seiner Ackerfläche mit Flachs zu bebauen. Es gab, wie auch heute noch, Weinbaubetriebe, die ihre Traubentrester zu Schnaps brennen ließen. Wenn aber in dem Abrechnungsbuch "Trestertransporte" von Horrweiler nach Aspisheim vermerkt sind, so ging es nicht etwa darum, Schnaps daraus zu brennen. Vielmehr war in der Dreschhalle eine Maschine aufgestellt, mit der die Traubenkerne aus den Trestern gesiebt wurden. Deutschland, durch die Seeblockade vom außereuropäischen Handel so gut wie abgeschnitten, war darauf angewiesen, alle vorhandenen Ressourcen nutzbar zu machen. Dazu gehörten auch die Traubenkerne, die zu Speiseöl oder zu Grundstoffen für pharmazeutische Produkte verarbeitet wurden.
Nun, da die Treibstoffversorgung immer kritischer wurde durch die vorerwähnte Seeblockade und durch die kriegsbedingte Beeinträchtigung der Benzinproduktion in den Hydrierwerken, die Benzin aus Kohle herstellten, besann man sich auf alternative Energiequellen. Man betrieb nun viele Pkws aber mehr noch Lieferwagen mit Flüssiggas. So wurden die Fahrzeuge mit großen Propangasflaschen ausgestattet und nach geringer Änderung der Vergaser mit Gas betrieben.
Eine andere Alternative zur Treibstoffgewinnung war die Verwendung von Holz. Aber das Holz wurde nicht etwa durch eine Dampfmaschine in Energie umgesetzt, obwohl man bei Betrachtung einer derartigen Anlage den Eindruck hätte gewinne können. Viele Lastwagen wurden mit solchen "Holzgasfabriken" ausgestattet. Das waren große Kessel mit Feuerung, Gebläse, Filtern, Rohrleitungen und anderen Dingen. Vor allem mußte stets gewisser Vorrat an zerkleinertem Holz mitgeführt werden.
Mit einem solchen Holzgasgenerator wurde im April 1944 auch der Eiserne Gustav ausgestattet. Es war keine glückliche Investition für einen Ackerschlepper, der übersichtlich und wendig sein sollte. Nun hatte er einen dicken Bauch vor der Nase. Und wie sollte man das "Tankholz" mitführen, wenn man ein Ackergerät anzuhängen hatte? Als Brennstoff diente trockenes Buchenholz, das von dem Wagnermeister Peter Schmitt in ca. 6 cm große Würfel geschnitten wurde. Diese Einrichtung wurde bald nach dem Krieg wieder demontiert und nach einigen Jahren Museumsdasein dem Schrotthändler überlassen.
Von einer besonderen Begebenheit in den letzten Kriegstagen möchte ich zuletzt noch erzählen:
Die amerikanischen Streitkräfte hatten auf ihrem Vormarsch zum Rhein den Hunsrück erreicht.
Am 16.März 1945 warf ein amerikanischer Flieger Bomben auf Aspisheim.
Diesem Angriff vielen neun Menschen zum Opfer. Zur gleichen Zeit wurde von oberer Behörde angeordnet,
daß alle hier befindlichen Kriegsgefangenen auf die rechte Rheinseite zu bringen sind.
So erhielten die dienstverpflichteten "Bulldogsbauern" den Befehl, die hier eingesetzten französischen
Kriegsgefangenen nach Jugenheim zu einem Sammeltransport zu befördern.
Hans Huff und Karl Huff machten sich bei Einbruch der Dunkelheit mit den Gefangenen auf den Weg.
Kaum hatten sie Aspisheim verlassen, wurden sie auf der Chaussee am "Engel" von einem Feldwebel angehalten,
der sie mit vorgehaltener Pistole zwingen wollte, die Rolle mit den Gefangenen stehen zu lassen und seinen
defekten Lastwagen abzuschleppen. Der die Gefangenen begleitende Unteroffizier sagte,
er hafte mit seinem Leben, daß die Gefangenen nach Jugenheim kommen und Hans Huff erklärte,
daß er auf Befehl der Zivilbehörde handele und sonst niemandem unterstehe.
Daraufhin läßt der Feldwebel sie weiterfahren. In Jugenheim angekommen, werden sie neuerdings verpflichtet,
die Gefangenen auf eine größere Rolle von der IMPREWA (Richtberg Gaulsheim),
besetzt mit Russen umzuladen und nach Nierstein weiterzufahren.
In Nierstein angekommen wurden die Gefangenen schleunigst abgeladen und der Heimweg angetreten.
In dunkler Nacht, der Flieger wegen ohne Beleuchtung, kamen sie kurz von dem Morgengrauen nach Aspisheim zurück.
Um aber eine Begegnung mit dem abschleppbegehrenden Lastwagenfahrer zu vermeiden,
fuhren sie nicht auf der Chaussee ins Dorf sondern benutzten den Appenheimer Weg .
An der Unteren Pforte angekommen empfing sie dort der vom Traktorengeräusch aufmerksam gemachte
Feldwebel und zwingt sie unter Androhung von Waffengewalt zum Abschleppen des Lastwagens.
Er hatte inzwischen beim Bürgermeister die Verpflichtung der Schleppergenossen erreicht.
Nun fuhren Karl Huff und Johann Philipp Scholl. Der Feldwebel verlangte auf dem Weg nach
Ober-Hilbersheim ein schnelleres Tempo zu fahren, was aber der Gustav nicht erbringen konnte.
Die Männer bedeuteten ihm, daß in Ober-Hilbersheim ein schnellerer Traktor existiere.
Dort ließ er anhalten, und während er den Besitzer des Traktors aufsuchte, nutzten die Bulldogger die Gelegenheit,
den Lastwagen abzuhängen und das Weite zu suchen.
Im Appenheimer Weg stellten sie dann den Bulldog ab und ließen an allen Reifen die Luft heraus.
Am nächsten Tag rückten die Amerikaner in Aspisheim ein.
Wie man später erfuhr, wurden weder der Fahrer noch der Traktor je wieder in Ober-Hilbersheim gesehen.
Der Gustav, dessen alleiniger Besitzer ich seit 1952 war, war kein Wesen aus Fleisch und Blut
aber auch nicht eine Maschine nur aus Gußeisen und Stahl.
Er war für mich eine "Persönlichkeit", ein treuer Freund, mir ans Herz gewachsen wie einem ein
treues Pferd verbunden sein kann.
Der Abschied von ihm fiel mir nicht leicht, und die Erinnerung erfüllt mich noch heute ein wenig mit Wehmut.
Seinen letzten, gemeinnützigen Dienst in Aspisheim leistete er im letzten Jahr des Bestehens der Dreschgenossenschaft, als er wegen Ausfalls des Elektromotors die Dreschmaschine antrieb. Danach habe ich ihn einem Bauern aus Partenheim verkauft, der ihn noch einige Jahre vor allem zum Mähen einsetzte, bevor er ihn dann einem mir unbekannten Schausteller überließ.
Nun ist er so verschollen, wie der "Fliegende Robert" aus Hoffmann's Struwwelpeter, von dem niemand weiß, wohin ihn der Wind getragen hat.
Mein guter, alter, treuer Gustav...
Diese Geschichte habe ich in der Dorfgeschichte von Aspisheim gefunden.
Unterschrieben war sie mit Hermann Braun